2009
LITERATUR IN DER KÄLTE
Die armenischen Autoren Arpi Voskanian und Hambartsoum Hambartsoumian
Yerevan im Spätherbst. Die Hauptstadt Armeniens liegt zwar auf 1200 Meter eine kaukasischen Hochebene im Schatten des Ararat, doch der Frost ist noch nicht eingezogen. Frostig ist vielmehr das politische Klima im Land. Davon bekommen zwar die BMW- und Porsche-Fahrer im Zentrum nichts mit (kaum eine Stadt der ehemaligen Sowjetunion kann eine derartige Dichte solcher Karossen vorweisen), sehr wohl aber die Kulturschaffenden, die Schauspieler und Schriftsteller. Auch im späten goldenen Herbst des Landes bleibt es kalt. Arpi Voskanian und Hambartsoum Hambartsoumian, sie gehören zur jüngsten Generation der armenischen Literatur, versuchen einen Paarlauf im Frost, mit Engagement und ohne Sentimentalität. Sie, Jahrgang 1978, hat schon als Teenager bei Lesungen Aufsehen erregt, er, geboren 1984, ist als Journalist und Autor an der vordersten Front derer, die sich in der armenischen Öffentlichkeit kein Blatt vor den Mund nehmen. „Als Schriftsteller kann man kaum leben, doch sie trachten einem nach dem Leben“, sagt er schlicht und ohne Pathos. Die Demokratie im Land ist nämlich relativ, vieles von dem, was von Touristikern und ihren Verwandten, den Politikern, als Kulturnation verkauft wird, ist Camouflage. Pressefreiheit ist nur bedingt vorhanden, seit dem 1. März 2008, dem letzten großen Aufbegehren der Zivilgesellschaft gegen ein korruptes politisches System mit 10 Toten und hunderten Verletzten nach den problematischen Parlamentswahlen ist immer noch ein Dutzend Intellektueller in Haft. Dass Arpi und Hambartsoum nicht dazu gehören, ist Zufall, vielleicht wäre auch der Aufschrei in den letzten unabhängigen Zeitungen zu groß gewesen. Ich habe die beiden vor beinahe zwei Jahren kennen gelernt, bei der Vorbereitung der ersten Anthologie neuer armenischer Literatur in deutscher Sprache. Lojze Wieser und Kulturkontakt Austria waren mutig genug, dieses Unternehmen zu unterstützen, und es hat sich gelohnt. Die beiden – Arpi und Hambartsoum - gehören zu einer kleinen Gruppe unbeugsamer Autoren, Nachdenker und Aufreger, die sich mit dem zunehmenden Analphabetismus nicht abfinden wollen. Eine Entwicklung, die ja auch vor Österreich nicht halt macht, in einer prekären Gesellschaft wie der armenischen aber viel schlimmere Folgen zeitigt. Vor fast zwei Jahrzehnten, während meiner zahllosen Taxifahrten in Yerevan (damals war die Armut vielleicht noch bitterer als heute), waren Gespräche über Literatur selbstverständlich, und wenn der Taxifahrer noch so einfach gestrickt war. Heute werden nicht einmal mehr Zeitungen gelesen. Junge Autoren brauchen einen langen Atem, um dennoch weiter zu tun. Denn auch die Verlagslandschaft ist für unsere Verhältnisse ein Desaster. Die wenigen Verlage, die es noch gibt, drucken nur noch nach Vorleistung der Autoren, die Bücher verkauft man sich dann selbst, bestenfalls in Kommission, sonst auf der Straße oder unter der Hand. „In Zeiten der zunehmenden Sprachlosigkeit müssen wir den Menschen jedoch ihre Sprache bewahren, müssen im Namen der Schweigenden sprechen“, meint Hambartsoumian. „Alle Generationen vor uns haben das Lesen und die Literatur geliebt. Wir machen weiter, um im Kopf frei zu sein und frei zu bleiben“, ergänzt Arpi Voskanian. Da werden Erinnerungen wach an Truffauts „Fahrenheit 451“ und die Menschen am Ende der Bahngleise im Herbstwald – doch im armenischen Spätherbst ist es noch merklich kälter.
Herbert Maurer
2009